Raumplanung

Bedeutung für die Praxis:

◦Im Bereich der Stand- und Durchgangsplätze für Fahrende besteht in der Schweiz weiterhin dringender Handlungsbedarf.
◦Die kantonalen Planungsbehörden sind aufgefordert, das Thema der Fahrenden im Rahmen der kantonalen Richtplanung anzugehen und eine klare Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Kantonen und Gemeinden vorzusehen.
◦Stand- und Durchgangsplätze für Fahrende sind in der Nutzungsplanung der Gemeinden als solche auszuweisen. Die Gemeinden sind aufgerufen, die Zusammenarbeit mit dem Kanton zu suchen, bestehende Standplätze zu erhalten und planungsrechtlich abzusichern sowie weitere geeignete Standplätze auszusondern.
◦Private Initiativen (Benutzung eines Grundstücks mit Zustimmung des privaten Grundeigentümers) sind zwar als vorübergehende Lösungen willkommen (und sollten von den Gemeinden nach Möglichkeit geduldet werden), ersetzen aber keine planerische Lösung.
◦Alle Akteure haben das Gespräch und die Zusammenarbeit mit den Fahrenden selbst zu suchen.



Spannungsverhältnis zwischen fahrender Lebensweise und Raumplanung


Im Jahre 1998 ist für die Schweiz das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten (im Folgenden: Rahmenübereinkommen) in Kraft getreten. Neben den traditionellen Sprachminderheiten hat die Schweiz die jüdische Bevölkerung und die Fahrenden ausdrücklich als nationale Minderheiten anerkannt. Sie hat sich damit insbesondere dazu verpflichtet, angemessene Massnahmen zu ergreifen, um in allen Bereichen des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebens die vollständige und tatsächliche Gleichheit zwischen den Fahrenden und der Mehrheitsbevölkerung zu fördern (Art. 4 Abs. 2 Rahmenübereinkommen) und für Bedingungen zu sorgen, die es Fahrenden ermöglichen, ihre Kultur zu pflegen und weiterzuentwickeln (Art. 5 Abs. 1 Rahmenübereinkommen). Gemäss einem Grundsatzentscheid des Bundesgerichts geniessen die Fahrenden auch verfassungsrechtlichen Schutz. Neben dem Völkerrecht verpflichtet damit auch die schweizerische Bundesverfassung Bund, Kantone und Gemeinden dazu, die besonderen Bedürfnisse der Fahrenden in der Raumplanung zu berücksichtigen (BGE 129 II 321).

Auch wenn im Bereich des Schutzes der Fahrenden verschiedene Fortschritte erzielt worden sind, zeigen sich in der Schweiz doch insbesondere im Bereich der Raumplanung weiterhin grössere Schwierigkeiten. Im Jahre 2008 hat das Ministerkomitee des Europarats der Schweiz denn auch empfohlen, die Planung und Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen zu erleichtern und zu beschleunigen und bessere finanzielle und andere Anreize für die Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen vorzusehen. Trotz vielfältiger Bemühungen fehlt es jedoch in der Schweiz weiterhin an Orten, an denen Fahrende für kürzere oder längere Zeit Halt machen können.

In seinem dritten Bericht zur Umsetzung des Rahmenübereinkommens vom Januar 2012 stellt der Bund fest, dass sich die Situation in den vergangenen zehn Jahren nicht verbessert hat. Zwar hat die Zahl der Standplätze in den letzten 10 Jahren von 11 auf 14 leicht zugenommen. Doch das Angebot an diesen Plätzen zur Überwinterung deckt nur etwa 50% des ausgewiesenen Bedarfs. Noch schlimmer ist die Situation bei den Durchgangsplätzen, die in der Sommersaison für kürzere Aufenthalte benötigt werden: Deren Anzahl ist im letzten Jahrzehnt von 51 auf 43 zurückgegangen, wovon drei Viertel qualitativ ungenügend sind.

Auch die Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende kommt in ihrem Bericht „Fahrende und Raumplanung – Standbericht 2010“, zum Schluss, dass zwar auf konzeptioneller und planerischer Ebene viel unternommen wurde, dass aber die Umsetzung weiterhin ungenügend sei. Die Stiftung forderte 2010 26 zusätzliche Standplätze, 39 Durchgangsplätze sowie zusätzliche Transitplätze für ausländische Fahrende.

Jüngste Vorkommnisse zeigen jedoch, dass die Umsetzung dieser Forderungen weiterhin auf Schwierigkeiten stösst.

Kerzers: Nicht zonenkonformer Standplatz


In Kerzers (FR) erlaubte ein Bauer Schweizer Fahrenden seit 2010, ihre Wohnwagen auf seinem Land zu stationieren. Im Herbst des vergangenen Jahres nahm die Gemeinde Kerzers nach einigen Nachfragen aus der Bevölkerung mit dem Grundeigentümer Kontakt auf und wies ihn darauf hin, dass der Standplatz nicht mit den Vorschriften für die Landwirtschaftszone konform sei. Die Gemeinde schlug vor, das Land einer anderen Nutzungszone zuzuweisen. Damit war indes der Bauer nicht einverstanden; er wollte sich vorbehalten, das Land in Zukunft auch wieder ausschliesslich landwirtschaftlich zu nutzen. Die Gemeinde wird deshalb voraussichtlich eine Frist setzen, um den Platz zu räumen. Obwohl in Fall Kerzers ein guter Wille auf privater sowie wie auf behördlicher Seite zu bestehen scheint, wird die Wiese in der Nähe des Papiliorama wohl demnächst nicht mehr als Standort für Fahrende zur Verfügung stehen. Die Situation in Kerzers illustriert denn auch, dass private Initiativen zwar wichtig sind, eine koordinierte Raumplanung zwischen Kantonen und Gemeinden aber nicht zu ersetzen vermögen.

Burgdorf: Aussperrmassnahme gegen illegales Stationieren von Wohnwagen

Anders gelagert ist die Situation in Burgdorf (BE). Im Unterschied zu Kerzers handelte es sich dort mehrheitlich um ausländische Fahrende. Diesen wurde vorgeworfen,  sich im vergangenen Jahr in grosser Zahl illegal auf zwei öffentlichen Parkanlagen der Stadt aufgehalten und Unmut in der Bevölkerung provoziert zu haben. Um dies in Zukunft zu verhindern, installierte die Stadt Barrieren, die den Wohnwagen die Zufahrt verunmöglichen. Die umliegenden Grünflächen wurden zudem mit Steinblöcken blockiert. Die Stadt Burgdorf begründet dieses Vorgehen damit, dass eine Wegweisung oder Räumung kaum durchsetzbar wäre. Ausserdem bringt sie vor, der Kanton sei in den vergangenen Jahren untätig geblieben und lasse die Gemeinden mit der schwierigen Situation alleine.

Fazit

Zwischen Theorie und Praxis besteht in Sachen Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen für Fahrende eine grosse Diskrepanz. Obwohl es scheint, dass das Problembewusstsein beim Bund und in einigen Kantonen in den letzten zehn Jahren stark gewachsen ist und vielerorts Konzepte und Pläne erstellt werden, werden in der Praxis kaum neue Stand- und Durchgangsplätze geschaffen. Meist lässt sich dies auf den mangelnden politischen Willen und/oder die nach wie vor bestehenden negativen Vorurteile gegenüber Fahrenden in weiten Teilen der Bevölkerung zurückführen. So schlug bspw. die Gemeinde Schwyz 2010 auf Empfehlung und Anregung des Kantons die Schaffung eines neuen Durchgangplatzes auf einem frei werdenden Armeeareal vor. Die Bevölkerung lehnte bei der Abstimmung im September 2010 jedoch die Schaffung der erforderlichen „Sonderzone Fahrende“ deutlich ab. Die Gemeinden scheinen mit der Situation vielfach überfordert und beschränken sich darauf, den illegalen Aufenthalt von Fahrenden mit Fernhaltemassnahmen zu bekämpfen. Koordinierte und vom Bund finanziell unterstützte planerische Massnahmen sowie weitere Aufklärungs- und Informationsarbeit zum Abbau bestehender Vorurteile scheinen deshalb unerlässlich.

02.05.2012
     

Kontakt
◦Andrea Egbuna-Joss


Dokumentation
◦Bericht der Schweiz zum Minderheitenabkommen - humanrights.ch (1.2.2012)

◦Gemeinde: Zustand ist nicht rechtens, Berner Zeitung vom 16. Februar 2012
◦Die Stadt sperrt die Fahrenden aus, Berner Zeitung vom 3. März 2012
◦Fahrende auf öffentlichen Parkplätzen nicht mehr erwünscht, Medienmitteilung der Stadt Burgdorf vom 8. März 2012
◦Deutliches Ja zur Zonenplanung, Amtliches Abstimmunsergebnis der Gemeinde Schwyz zur Abstimmung vom 26. Sept. 2010